Das Eine nicht mehr, das Andere noch nicht!

Schwelle
Übergangszeiten – Schwellen –  lassen uns in Abgründe schauen, aber auch in Höhen.

Das Dazwischen ist der Abschnitt, in dem das, was vorher war, nicht mehr gilt, aber das Neue sich noch nicht eingestellt hat oder gar abzeichnet. Man kann es als die Schwelle betrachten. In dieser Schwellenphase ist Vieles aufgehoben, gilt nicht mehr, dessen man sich vorher sicher zu sein glaubte. Man kann dies auch als eine Position des „weder-noch“ betrachten: Weder das Eine, noch das Andere.

Gewissheiten können sich in der Schwellenphase weitgehend auflösen. G. Bateson zitiert Ross Ashby: (Dieser) …“hat schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass kein System … etwas N E U E S hervorbringen kann, wenn es nicht irgendeine Quelle des Zufalls in sich enthält.“

Diese Begleiterscheinungen sind möglich im Verlauf eines tiefgreifenden persönlichen Übergangs, insbesondere dann, wenn in einer Krise nicht gleich sich etwas Neues anschließt und diese Krise zunächst mit Verlusten behaftet ist:

  • Abkoppelung
    Beziehungen lösen sich auf, bzw. der oder die Betreffende ist mit seinen, ihren eigenen inneren Prozessen so beschäftigt, dass wenig Raum bleibt für Beziehungen, besonders dann, wenn Bezugspersonen selbst Teil der Krise sind. Für Außenstehende wirkt das verstörend, weil sie dem Geschehen weitgehend hilflos gegenüberstehen.
  • Ra(s)tlosigkeit, Passivität und Angst
    Das alte Ich hängt noch an dem, was vorher galt, sieht aber keinen Weg mehr dorthin. Diese Situation ist unangenehm bis extrem verunsichernd oder ängstigend. Aus dem Gedanken heraus, dass alles besser ist als das, werden Versuche gestartet, aus der Position schnell herauszukommen. Gelingt dies nicht oder ist der Bruch zwischen dem Alten und Neuen schlicht überwältigend, stellt sich eine resignative Passivität ein. 
  • Identitätsverlust
    Das was man bisher glaubte, dass es sicher zur eigenen Identität gehört, das heißt zum eigenen Verständnis oder Bild von sich selbst, wird durch die Geschehnisse stark in Frage gestellt oder geht durch diese verloren.
  • Ernüchterung
    Überzeugungen, die man sicher glaubte, gehen verloren und weichen einer Ernüchterung oder Entzauberung, durch die diese auf ein bescheidenes Maß zurück gestutzt werden. 
  • Orientierungslosigkeit
    Durch die Verluste oder das Infragestellen der eigenen Identität, der Überzeugungen, des Lebensentwurfs, wie er bis dahin galt, geht die Orientierung verloren, das Gefühl für das, was für einen stimmig ist, das Vertrauen in die eigenen Handlungen und Entscheidungen. Die eigene innere Kompaßnadel pendelt hin und her.

Häufig wird dieses Erleben, Empfinden oder Verhalten im Sinne psychopathologischer Symptome gedeutet und bekommt damit eine Diagnose als Label, z. B. die Niedergeschlagenheit, eine unruhige Passivität,  Hilflosigkeit und Antriebslosigkeit wird nun als Depression gesehen. Dies hat wiederum Konsequenzen für das Nutzen oder eben Nicht-Nutzen. Zunächst mag mit der Diagnose eine gewisse Erleichterung verbunden sein, „endlich gibt es einen Namen für das, was mit mir los ist“, andererseits wird damit auch die Verantwortung für die Besserung an einen Experten übertragen. Was damit völlig aus dem Blickfeld gerät, sind die Chancen auf eine Weiterentwicklung, die mit dem Dazwischen verbunden sind, auch wenn es stressig und schwierig ist und öfter vielleicht gar nicht danach aussieht, dass aus diesem Chaos etwas Positives erwachsen kann.  

Auf dem Zaun sitzen

Wie fühlt sich das Dazwischen möglicherweise noch an? Es ist ein wenig wie auf einem Zaun zu sitzen. Eine ausgesprochen ungemütliche Position, in der die Zaunspitzen auf ganz empfindliche Teile drücken, eben eine, bei der man sich ganz wörtlich im Übergang befindet!
In dem Stadium des Dazwischen kann sich auch die Art, wie ein Mensch über sich selbst denkt, die eigene Identität, in einzelne Puzzlesteine ohne dass das Gesamtbild noch zu erkennen wäre, auflösen. (Später, d.h. wenn man im Neuen wieder angekommen ist, dann stellt sich auch wieder ein kohärentes Erleben und eine Ganzheit ein. Aber das ist in diesem Moment nicht sichtbar.) 

Da dem Erleben, dem Fühlen, dem Handeln die Orientierung fehlt, ist all dies eher ungerichtet. Den Bewertungen bezüglich uns selbst und unserer Lebenssituation kommt eine Multivalenz zu, d.h. alles wird mehrdeutig und damit unklar, unscharf. (Gegenpol: die Vereindeutigung der Welt, wenn Handlungen zielgerichtet sind.)

Sich Zeit lassen!

Da diese Zeit häufig als sehr unangenehm, beunruhigend, erschütternd erlebt wird, ist man versucht, alles zu tun, um sie so schnell wie möglich hinter sich zu lassen und zu „alter Form“ zurückzufinden. Selbst wenn dies gelingt, bringt man sich damit unter Umständen auch um die Chancen der Weiterentwicklung dadurch, dass in diesen Zeiten immer auch grundsätzlich Neues möglich wird. Denn im Dazwischen sind wir auch konfrontiert mit oder nahe an den Seiten unseres Lebens, der bisher ungelebt geblieben ist. Indem die alte Ordnung ihre Vormachtstellung verliert, können sich andere Strebungen und Ideen entwickeln und sich überhaupt erst als Möglichkeiten zeigen.

Mind the Gap! Achten Sie die Lücke!

Ein bewusst gestalteter Abschluss kann hilfreich sein zur Schließung dieser Phase und dem Anschluss an das Neue. Dieser kann auch die Form eines Rituals annehmen. Um wirksam zu sein, haben sich diesbezüglich bestimmte Ideen als nützlich erwiesen. Die Beschäftigung damit gibt auch Klarheit darüber, ob man schon bereit ist, den Schritt über die Schwelle zu machen. Einfach bei Vollmond um ein Feuer zu springen wird wahrscheinlich eher nicht die beabsichtigte Wirkung haben.

Rituale als Instrumente des Übergangs 

Rituale sind Praktiken des Schließens eines Lebensabschnitts durch mit Bedeutung aufgeladenes, symbolisches Handeln verbunden mit dem Anschluss an etwas Neues. 

Am Ende dieses Abschnittes stehen Akzeptanz und Aussöhnung von und mit den Verlusten.